Vom Wachsen …
Eine Feriengeschichte

Sommerferien — endlich!

Anstrengende Wochen lagen hinter uns. Gefüllt mit Einschränkungen durch die Coronapandemie, Wechselunterricht, keine Ausflüge usw.

Nun also war vieles wieder möglich — wir waren so gespannt und voller Freude. Besonders als wir das bunte Ferienprogramm vorliegen hatten. Welch eine Auswahl..Trappenkamp, Minigolf, Kochen, Backen, Basteln, Lagerfeuer … für jeden etwas dabei! So auch für mich: Ein Ausflug zum Kletterwald in Volksdorf. Schon immer mal wollte ich dort hin. Nun also klappte es … mit der GBS.

Etwas mulmig war mir ja schon zu Mute. Mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln nach Volksdorf? Zu Zeiten von Corona? Aber die Betreuer*innen nahmen uns und unseren Eltern die Sorge:

Bevor wir losfuhren, wurden alle getestet, denn: Sicherheit geht vor. Auch trugen alle eine medizinische Maske, um sich und andere zu schützen. Beides war uns ja schon vertraut und als wir sahen, dass in dem Bus nicht viele Menschen saßen, war die Freude auf den anstehenden Parkour noch größer.

Endlich angekommen, machten wir zuerst eine Sammelstelle aus. Dort konnten wir alle Rucksäcke lagern, uns ein wenig stärken und vorbereiten auf das, was jetzt anstand: Klettern in teils schwindelerregender Höhe.

Zunächst bekamen wir eine Einweisung. Eine sehr nette Frau erklärte uns, wie wir die Schutzgurte anlegen mussten und was es zu beachten gab. Wir stiegen also in die Gurte, klickten den Karabiner ein, Helm auf. Nun noch ein kurzes Video dazu. Video? Im Wald? Ja,sogar einen Monitor gab es da draußen, ziemlich schräg,oder? Aber hilfreich, denn so konnte man sich jeden Schritt noch einmal in Ruhe anschauen. Die Trainerin war wirklich stolz auf uns – alles richtig gemacht! 

Dann ging es los: Wir bildeten zwei Gruppen. Die eine Gruppe links herum, die andere rechts herum. Team Calvin, Team Andreas und …Was war denn mit Andrea?  Wollte sie nicht mit rauf? Warum hatte sie nicht auch eine Gruppe? Hatte sie etwa der Mut verlassen? Seltsam. Den Grund sollte ich später am eigenen Leib erfahren.

Da standen wir also alle in Reih und Glied am Start. Ich hatte mir einiges vorgenommen: Mindestens bis zur Hälfte der Kletteranlage wollte ich kommen. Es sah so cool aus von unten! All die Seile, Brücken und Plattformen. Und vor allem auch die Seilzüge am Ende eines jeden Parkours,  an denen man sich runterfahren lassen konnte.

Los ging es … über ein Seil entlang bis zur ersten Plattform.  „Ha ha, wie einfach!“  schoss es mir durch den Kopf. Die paar Meter. Ich lief los. Festgeschnallt und besten Willens. „Ganz schön wackelig so ein Seil“, dachte ich unterwegs und war glücklich, an der ersten Ebene angekommen zu sein. Zweite Strecke, gleiches Seil, aber …“ Hilfe! Wieso war das plötzlich so hoch?? Von unten sah es doch so niedrig aus! Jetzt bloß nicht nach unten schauen…“ Das Seil wackelte hin und her..bei jedem Schritt, jeder Bewegung, die ich machte. Unter mir: Andrea oder besser gesagt … ich sah nur noch ihren Kopf. Denn dann wurde mir schwindelig. Meine Knie butterweich, die Arme plötzlich schwer. Nichts ging mehr! Keinen Schritt weiter! Mir schossen die Tränen in die Augen, die Angst kroch quer durch den Körper. Ich wollte nur noch eins: Runter hier! Weg! „Wie war das noch? Was sollte man rufen? Trainer, Trainer?“ Aber kein Wort kam über meine Lippen! Nicht mal mehr rufen konnte ich, nur weinen. Nein, so hatte ich mir das nicht vorgestellt! Was für ein blöder Ausflug! Schon auf der ersten Strecke mutlos zu werden … wie peinlich! Ich war wie gelähmt. Plötzlich fühlte ich zwei Hände an meinen Fußgelenken. Eine vertraute Person hielt mich von unten fest, ich hörte eine andere Erwachsenenstimme die Trainerin  herbeirufen. „Bloß weg hier! Ist mir doch egal, was die anderen denken!“ Die Trainerin kam, Andrea war unter mir. „Also los, ihr beiden, holt mich runter! Was sagt ihr da? Ich solle zur Ecke, dann holt Andrea mich dort ab?“ Zur Ecke – meine Rettung nahte. Hinter mir hörte ich die anderen vom Team und Andreas rufen: „Du schaffst das! Du schaffst das!“ Mir blieb ja gar nichts anderes übrig. Ich richtete mich auf. Schritt für Schritt ging ich das wackelige Seil entlang. Mir lief der Schweiß über das Gesicht. Ein paar Meter noch … ja, ich werd es schaffen…bis zur Plattform hatten sie gesagt… Einen Schritt noch. Endlich! Ich war auf der Plattform angekommen. Erschöpft sackte ich zusammen. Plötzlich … Alle riefen mir zu! „Bravo! Du hast es geschafft!“ Ich schaute mir die Strecke an..ja, ich hatte es tatsächlich geschafft! Ohne Absturz! Ohne Hubschrauber! Ohne!  Andrea schaute mich fragend  an: “ Na … willst du jetzt noch runter kommen? Ich bin da und warte gerne auf dich.“ Ich brauchte keine Minute, um ihr die Antwort zu geben. „Nein!“ sagte ich mit starker Stimme. „Nein, ich möchte den nächsten Parkour probieren!“ Klatschen konnte in dem Moment keiner, aber ich fühlte all die strahlenden Blicke meines Teams. Und dann machte ich mich auf..Auf zur nächsten Ebene! 

Irgendwann viel später verließ ich das Hochseil. Zusammen mit den anderen Kindern ging ich zum Sammelplatz. Dort standen schon einige und schauten mich mit großen Augen an: „Was ? Wo kommst du denn jetzt her? “ — “ Von Ebene vier, wieso ?“ entgegnete ich mit stolzer Stimme und schaute strahlend auf den Parkour. „Ich bin einfach unterwegs gewachsen!“ 

„Wie wahr, wie wahr!“ stimmte Calvin mir zu und reichte mir zwinkernd ein Eis.

Was für ein toller Tag!